Veröffentlicht am: 08-03-2008
Berlin, 08. März 2008
Zu Händen des Generalsekretärs der OSZE Marc Perrin de Brichambaut
Sehr geehrter Herr Generalsekretär,
tief beunruhigt möchten wir Ihre Aufmerksamkeit auf die Situation lenken, die seit den Präsidentschaftswahlen am 19. Februar und nach dem vorläufigen Bericht Ihrer Beobachter in Armenien herrscht.
Letztere haben in der Tat eine „insgesamt positive Bilanz“ aus dem Ablauf des Wahlkampfs und der Präsidentschaftswahlen gezogen. Dennoch werden diese in unterschiedlichem Maße kritisiert und in Frage gestellt, und dies nicht nur von Seiten aller Präsidentschaftskandidaten – mit Ausnahme von
Bereits während des gesamten Wahlkampfs hatte es eine augenscheinliche Ungleichbehandlung der Kandidaten gegeben. In einem Umfeld, in dem die öffentlichen Fernsehkanäle im Besitz des herrschenden Regimes sind und in dem private Kanäle schon seit langem geschlossen wurden, war es ein Leichtes, die Kandidaten der Opposition systematisch schlecht zu machen oder ihnen nur sehr beschränkte Sendezeiten zuzugestehen. Öffentliche Versammlungen der Nichtregierungs-Kandidaten stießen auf ein ganzes Arsenal von Initiativen, die darauf abzielten, die Versammlungen durch eine Vielzahl von Zwischenfällen und Angriffen zu sabotieren.
Am Wahltag versuchte der Regierungsapparat systematisch die Wahlen zu manipulieren. Das geschah durch Gewaltandrohung und Gewaltwendung, Stimmenkäufe und den Einwurf gefälschter Wahlzettel. Menschen wurden daran gehindert, im Geheimen in Wahlkabinen zu wählen. Journalisten, die Zeugen von Verstößen gegen das Wahlrecht wurden, sahen sich verbalen und physischen Angriffen ausgesetzt. Diese massiven Rechtsverstöße endeten damit, dass bereits nach dem ersten Wahlgang der Kandidat der Regierungspartei zum Wahlsieger erklärt wurde. Diese offensichtliche Missachtung demokratischer Prinzipien veranlasste die Menschen, seit dem 20. Februar auf die Straße zu gehen. Sie forderten friedlich die Einhaltung rechtsstaatlicher Normen und der Prinzipien von Gerechtigkeit und Demokratie. Damit ging auch ihre Forderung einher, die Korruption entschieden zu bekämpfen und die Hintergründe des Blutbades im armenischen Parlament am 27. Oktober 1999 endlich aufzuklären.
Der vorläufige Bericht der OSZE-Beobachter
Nun haben sich Ihre Wahlbeobachter aber am 20. Februar beeilt, einen vorläufigen Bericht vorzulegen, in dem sie den armenischen Behörden dazu gratulieren, die vorangegangenen Empfehlungen der Beobachter angehört und in der Folge Fortschritte beim Aufbau des Rechtsstaates gemacht zu haben. Das Ausmaß und das System des Wahlbetrugs wurde allerdings verschwiegen, ebenso wie das Klima der Anspannung, der Drohungen und Einschüchterungen, in dem die Verstöße vollzogen wurde. Wir waren über die Anwesenheit von OSZE-Beobachter in Armenien froh, weil wir davon ausgingen, dass die OSZE mögliche Wahlfälschungen scharf verurteilen würde. Nun müssen wir jedoch feststellen, dass die Armenier in den Stunden, die für die Zukunft der Demokratie und den gesellschaftlichen Frieden in ihrem Land so wichtig waren, keine Unterstützung durch einen objektiven Bericht seitens Ihrer Organisation erhalten haben. Wir haben den Eindruck, dass Ihre Beobachter aus uns unbekannten Gründen gegen die demokratischen Werte der in Ihrer Organisation vertretenen Länder verstoßen haben und mitverantwortlich dafür sind, was nach den Wahlen in Armenien geschah. Der Zwischenbericht der OSZE stärkte das politische Regime in Armenien. Dies war auch eine wichtige Vorraussetzung dafür, mit massiver Gewalt die bis dahin friedlichen Proteste der armenischen Bürger aufzulösen. Der katastrophal verlaufene Wahlprozess und seine positive Bewertung haben bereits jetzt nach offiziellen Angaben acht Tote (inoffiziell weit mehr) zur Folge, Hunderte von Verletzten, die Verhängung des Ausnahmezustandes, eine faktische Informationssperre, zahlreiche Verhaftungen und nicht zuletzt eine Verletzung des Waffenstillstandes in Berg- Karabagh. Eine Stabilisierung der gegenwärtigen Situation erscheint uns nur dann erreichbar, wenn entschieden auf die politische Führung des Landes eingewirkt und verlangt wird, den Ausnahmezustand wieder aufzuheben und von jeglicher Gewalt gegen die eigene Bevölkerung abzusehen, wie dies bereits von der UN- Hochkommissarin für Menschenrechte, Louise Arbour, in ihrer Erklärung vom 2. März 2008 gefordert wird.
Angesichts des Ernsts der Lage und des Umstands, dass die OSZE die Prinzipien und Werte, die ihre Handlungen immer geleitet haben, nicht verraten darf, ersuchen wir Sie, Herr Generalsekretär, umgehend eine Untersuchung der Umstände in die Wege zu leiten, unter denen dieser vorläufige Bericht zustande gekommen ist und die armenischen Behörden an die grundlegenden Regeln eines Rechtsstaates zu erinnern, die einzuhalten sie sich verpflichtet haben und die das armenische Volk dringend herbeisehnt.
Wir stehen Ihnen gerne zur Verfügung, um Ihnen jegliche Art von Informationen zu liefern, die Sie im Rahmen dieser Untersuchung oder bei der Ausarbeitung des endgültigen Berichtes benötigen könnten.
Ani Ohanian (Osteuropawissenschaftlerin), Elke Hartmann (Nahost-Historikerin), Vahe Tachjian (Historiker), „Initiative armenischer Demokraten in Deutschland“, Christine Gardon (Übersetzerin), Anja Riebell (Doktorandin), Raya Hakobian (Ärztin), Nane Ohanian (Studentin)
Herrn Marc Perrin de Brichambaut
Generalsekretär der OSZE
Palais Palffy
Wallnerstrasse 6-A
A – 1010 WIEN
(Österreich)
Kopie : Herrn Ilkka Kanerva, Außenminister von Finnland,
gegenwärtig Vorsitzender der OSZE.
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